Video Dokumentation, DV 4:3 , 70 Minuten, Innsbruck 2003
Auftraggeber: Verein Tafie, Tiroler Arbeitskreis für integrative Entwicklung.
„Weil eine Trommel geigt nicht”, ist ein integratives Projekt
von und mit Menschen mit mehr oder weniger Behinderungen.
Arbeitsweise . Filmtechnik . Filmteam . Kurzbiographien . Artikel von Petra Nachbaur
Arbeitsweise
Projekt ungehindert behindert
Die herausfordernde Aufgabe Menschen „mit geistiger Behinderung“ in den Produktionsprozess einzubinden, erwies sich als freudvoll und überraschend ergiebig.
Wir ließen überwiegend junge aber auch ältere Frauen und Männer weitestgehend selbständig filmen, interviewen, interviewed werden, Texte sprechen, Stative und Lampen aufstellen. Es gab noch viele andere anspruchsvolle Aufgaben. Nachlesen unter Team.
Für die Studie “Ich sehe mich nicht als behindert” erarbeitete Lisa Gensluckner, Leiterin des Tafie Projekts „Freiraum“, einen Fragenkatalog für Interviews mit einer kleine Gruppe Menschen mit der Diagnose einer geistigen Behinderung. Auch die Interviewtechnik wurde innerhalb dieser Projektarbeit mit Lisa Gensluckner eingeübt.
Die Studie „Ich sehe mich nicht als behindert“ wurde im Dezember 2003 mit dem Eduard-Wallnöfer-Preis, “für die mutigste Initiative von TirolerInnen zum Wohle unseres Landes”, ausgezeichnet.
Diese Studie war grundlegend für das Filmkonzept und ein wesentlicher Teil davon wurde auch inhaltlich übernommen .
Besonders spannend und aber auch herausfordernd für mich als Filmemacherin war, dass weder das Filmteam noch die Crew Erfahrung mit der Produktion einer Video-Dokumentation hatte.
Zusätzlich mussten wir sehr ökonomisch mit dem verhältnismässig kleinen Budget umgehen. Aus diesem Grund, besonders aber auch weil möglichst geringe technischen Hürden die Arbeit des Teams behindern sollte, entschied ich mich für ein sehr einfaches Film- Equipment.
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Wir drehten von Hand mit zwei kleinen Mini DV Amateurkameras mit externen Mikrophonen, gelegentlich mit Stativ.
Ein paar einfache Bauscheinwerfer verwendeten wir im „Studio“ und bei einzelnen indoor Interviews, ansonsten drehten wir mit dem vorhandene Licht.
Dies ermöglichte aktive und weitestgehend selbständige Mitarbeit der behinderten Frauen und Männer.
Daniela Pittl und Alexandra Wagner filmten am öftesten, denn sie hatten schon Erfahrung bei meinen Videokursen in kunst&drüber gesammelt. Die anderen „Kameraleute“ lernten vor Ort mit der Kamera und dem Mikro umzugehen.
Trotz unseres minimal technischen Aufwandes und unser stets flexibles, improvisierendes Anpassen an die Erfordernisse der Lokalität und Menschen, entstand genügend verwendbares Material um diese Dokumentation zu verwirklichen.
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Konzept
Lisa Gensluckner, Monika K. Zanolin
Regie/Schnitt/Kamera/Ton/Organisation
Monika K. Zanolin
Buch/Textbearbeitung
Barbara Hundegger
Fuer den Inhalt verantwortlich
Ulli Schindl-Helldrich, Lisa Gensluckner, Angela Zwettler, Reinhard Hug, Thomas Lipschütz
Regieassistenz bei den “Studioaufnahmen”
Gerti Eder, Lisa Gensluckner, Reinhard Hug, Judith Walder
SprecherInnen
Daniela Pittl, Reinhard Köbler, Christian Niedermayer, Kathrin Pfretschner
ProtagonistInnen
Daniela Pittl, Reinhard Köbler, Christian Niedermayer, Kathrin Pfretschner
Stimme
Reinhard Köbler
Kamera
Daniela Pittl, Alexandra Wagner, Christian Niedermayer, Jochen Sieberer, Monika K. Zanolin
Mikrophon
Lisa Gensluckner, Judith Walder, Monika K. Zanolin
Logging Assistenz
Daniela Pittl, Alexandra Wagner
Malerei
Angelika Mauracher Katharina, Daniela Pittl, Hermine Steinlechner, Alexandra Wagner
Musikauswahl
Filiz Cay, Reinhard Köbler, Christian Niedermayer, Tina Schindl
Filmmusik
Christine Abdel-Halim, Gabi Plattner (Komposition & Interpretation), Jenny Auer (Aufnahme & Ton-Mix)
Organisation
Lisa Gensluckner, Daniela Pittl, Ulli Schindl-Helldrich, Ingrid Wisiol, Reinhard Hug, Monika K. Zanolin
Texte
Reinhard Köbler, Christian Niedermayer, Daniela Pittl, Kathrin Pfretschner im Rahmen des „Studienprojekts“ unter der Leitung von Lisa Gensluckner
Interviewauswahl
Lisa Gensluckner, Reinhard Hug, Thomas Lipschütz, Ulli Schindl-Helldrich, Ingrid Wisiol, Angela Zwettler
Untertitel (2014)
Ingrid Mair (Wisiol)
Produktionsassistenz
Ulli Schindl-Helldrich, Lisa Gensluckner
Produktionsleitung
Reinhard Hug
Produzent
Verein Tafie Innsbruck-Land
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Lisa Gensluckner, Politikwissenschafterin, derzeit Mitarbeiterin im Arbeitskreis Emanzipation und Partnerschaft – AEP sowie an der Universität Innsbruck (Forschungsprojekt: “Political Literacy in der Schule der Migrationsgesellschaft“). Jahrelang Leitung des Projektes „FreiRaum. Beratung zu mehr Selbständigkeit“ (Verein TAfIE-Innsbruck-Land) und beteiligt an der Studie „Ich sehe mich NICHT als behindert! Studie über die Lebensbedingungen von Menschen mit besonderen Fähigkeiten in Tirol“ sowie beim Film „Weil eine Trommel geigt nicht…“.
Monika K. Zanolin, geb. in Innsbruck, Fotografin und Filmemacherin, Studium 1980 Film an der LIFS, The London International Film School, heute The London Filmschool.
Bis 1980 Tourismus Werbung, Industrie Fotografie, Reportagen und Portraits.
Seit 1991 freischaffendende Fotografin und Dokumentarfilmerin in Innsbruck, Kurzfilme für Kunst, Literatur und Unterricht.
Barbara Hundegger, geb. in Hall in Tirol; mehrere Jahre Studium der Germanistik, Philosophie und Theaterwissenschaft in Innsbruck und Wien; lebt als Schriftstellerin in Innsbruck.
Daniela Pittl, geb. 1979 und Alexandra Wagner, geb. 1981, sind in Ausbildung zu Künstlerinnen in der Ateliergemeinschaft Kunst+Drüber. Daniela Pittl ist auch Mitautorin der Studie „Ich sehe mich nicht als behindert!“
Reinhard Köbler, geb. 1983 – 2015, war Mitautor der Studie „Ich sehe mich nicht als behindert!“ und arbeitete bei „Wibs – Wir beraten, informieren und bestimmen selbst!“
Christian Niedermayer, geb. 1982, ist Mitautor der Studie „Ich sehe mich nicht als behindert!“ und derzeit im Projekt Boat sowie auf Arbeitssuche.
Kathrin Pfretschner, 1978 – 2004, war Mitautorin der Studie „Ich sehe mich nicht als behindert!“ und Mitarbeiterin im Projekt FreiRaum.
© 2003 – 2020 Verein Tiroler Arbeitskreis für integrative Entwicklung & Andere (monika k. zanolin).
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weil eine trommel geigt nicht..
In Sofia Coppolas „Lost in Translation“ sehen und hören wir Charlotte, Mittzwanzigerin mit Philosophieabschluss und Sinnkrise, in einer Karaoke-Bar in Tokyo einen „Pretenders“-Song intonieren: „I’m special so special“, kann die junge Frau nur angeschickert von sich behaupten, ein Filmweilchen später klagt sie ihrem Gegenüber: „Ich bin nur Durchschnitt“, darauf er: „Das merkt doch niemand.“
Special sind die Menschen in Monika K. Zanolins speziellem Film vom ersten bis zum letzten Moment – ihres Lebens, aber auch der siebzig Minuten „Weil eine Trommel geigt nicht“ (Innsbruck / Wattens 2003). Die Dokumentation ist eine variierende Umsetzung der Studie „Ich sehe mich nicht als behindert“, die Mittel des Films reichen weit darüber hinaus, was die ausgezeichnete Studie präsentiert: anschaulicher und sinnlicher wird die Thematik des Lebens von Menschen mit besonderen Fähigkeiten erfahrbar, auch für Menschen mit nicht grad besonderen Kenntnissen oder Vorstellungsvermögen, denen das „Leben mit Behinderung“ zuweilen so fern und fremd erscheint wie japanische Kultur. Eigene Ignoranz, Wahrnehmungssperren, Barrieren werden in Zanolins Dokumentation immer wieder, völlig ohne Vorwurf und unspektakulär, vor Augen geführt, etwa wenn eine der vier ProtagonistInnen – alle wie Coppolas Heldin in den Zwanzigern – zu Beginn des Films methodisch erläutert: „Wir haben Menschen interviewt, die sprechen können.“
Das Viererteam – zwei Frauen, zwei Männer – gestaltet anhand von Gesprächen mit verschiedenen PartnerInnen – KollegInnen, FreundInnen, Fachleuten, FunktionärInnen – Einblicke in jene Lebensbereiche, die für uns alle prägend, entscheidend, lebensbestimmend sind. Und arbeitet dabei Unterschiede heraus, und Unterschiede zu den Unterschieden. Von der Familie – Tenor ist, dass die Väter „auslassen“, während weibliche Familienmitglieder in ihrer Fürsorge oft zum Überschützen neigen – über Schule und Ausbildung – prägnant, wenn auch in der Relation etwas umfangreich die Ausführungen von Volker Schönwiese zur Debatte Sonderschule / Integrationsklassen und vor allem zur Ausbeutung in Beschäftigungstherapie-(Nicht)arbeitsverhältnissen – über Arbeit – Frust und Stolz („… do bin i a Profi wordn“) kommen da zum Ausdruck – bis zu Wohnen, Freizeit und dem weiten Feld Beziehungen reicht das Themenspektrum. Schauplätze des Films sind Innsbruck und die Bundeshauptstadt, wo eine schöne Einstellung vor dem Parlament hinter der Befragten in Splittern – „frei“ „gleich“, „geboren“ – die Inschrift Artikel 1 der Erklärung der Menschenrechte aufblitzen lässt.
Drei gesprochene Textstränge verflechten erzählendes Interviewmaterial, parolenhafte Positionen, poetische Passagen. Schrift begegnet als eingeblendete nüchterne Information (Rechtslage in Theorie und Praxis, statistische Erhebungen), aber auch als fröhliche, freche Slogans auf Demo-Transparenten oder auf Shirts, die ein Mann und eine Frau zum Trocknen aufhängen („bin v.i.p. und hip“, „Keine blöde Anmache!“, „bestimme selbst“, „keine Aussonderung“). Knapp gehalten sind die transkribierten Interviewpassagen.
Die Gespräche geben Auskunft über die Existenz „Lapperte“ Geschimpfter: von „ausg’spottet“ werden und „nachmachn“ bis „herschlagn“ reicht die schmerzhafte Palette kindlicher und jugendlicher Erfahrung. Die, die so oft darunter leiden, nicht „voll“, nicht als Erwachsene behandelt zu werden, beurteilen gehässigen Umgang im Nachhinein gelassen, betrachten jene, die im Alltag diskriminieren, als „selber no Kinder, egal, wie alt man ist“. Dennoch finden auch Enttäuschung und Wut über „Sauerei“ und „ungerechte, gemeine Sachen“ ihren Ausdruck.
Die Interviewführung des Teams ist vorbildlich, zeichnet sich aus durch viel Nicken, Ermuntern, positive Resonanz – und liebevollen Umgang mit dem nur im Strafprozess verpönten Phänomen Suggestivfrage: Die BefragerInnen eines Mitglieds der „Malgruppe“, das sogleich verkündet, „für mein ganzes Leben“ in der Gruppe bleiben zu wollen und keine anderen Pläne oder Vorstellungen zu haben, lassen nicht locker, bleiben dran, ermutigen: „Aber wenn du jetzt ganz ganz viel Unterstützung hättest …“, bis die Interviewte hell, klar und bestimmt weiß: „Kellnerin!“ möchte sie werden.
Nur vorerst irritierend tauchen in den Fragen Ausdrücke wie „Diskriminierungserfahrungen“, „Integrationsklasse“, „Berufsorientierung“ auf. Das authentische auch verbale Agieren als „Expertinnen und Experten“ gibt eine Ahnung von Qualität und Kompetenz des von Lisa Gensluckner geleiteten Studienprojekts, in dem sich die vier Menschen befunden haben, vor allem aber von ihrem eigenen Potential: Auch in sensibler und professioneller sprachlicher Geschlechtergerechtigkeit ist das Team imponierend.
Wenn sich die Vier in den frontal vorgebrachten Ansinnen das Wort nehmen, wird ihr ExpertInnentum besonders deutlich. Völlig klar wird formuliert, was Sache ist, was ansteht, was verlangt wird und wogegen anzukämpfen bleibt. Kathrin Pfretschner tough, rechte Hand in die Hüfte gestemmt, Christian Niedermayer mit geradezu pädagogischem Drive, Daniela Pittl reif und sicher, Reinhard Köbler genial in der Artikulation: seine „P-s-ychiatrie“ verrät sich als bloßes Wort selbst; in seiner absolut artifiziellen Art, das Wort „normál“ auszusprechen, offenbart sich die gesamte Fragwürdigkeit der Kategorie. Die ProtagonistInnen treten an mit Positionen und Forderungen, ernst und selbstbewusst, beeindruckend als Individuen, voll Nachdruck, Verve und Engagement als InteressensvertreterInnen, wie viele Gruppierungen sie sich nur wünschen könnten.
Sparsam eingesetzt sind die vom faszinierenden Sprecher Reinhard Köbler aus dem Off vorgebrachten Passagen: Für diese hat die Lyrikerin Barbara Hundegger Denkanstöße und Formulierungen der ProtagonistInnen verdichtet und zu bizarrer Poesie geschmiedet. Aus einer gereimten Litanei diverser „Begründungen“, die mit Logik operieren und sie ad absurdum führen, stammt der Titel der Doku: „[…] Weil ein Lärm schweigt nicht / und eine Trommel geigt nicht.“ Gegen Ende des Films prasselt eine Aufzählung „spinnerter“ Rechte nieder („Recht auf halbe Köpfe“), eine rasant vorgetragene Suade, die in der unterlegten visuellen Dynamik der Innsbrucker „People First“-Demonstration gar zu schnell vorüber ist. Wenn es darin einprägsam heißt, „Wir rücken euch eure Rechte zurecht“, ist damit viel gesagt von Definitionsmacht, Politik und auch von mutig zurückgewiesener Gewalt.
Das Impressum legt Zeugnis davon ab, dass und wie „Weil eine Trommel geigt nicht …“, ähnlich wie zuvor die gedruckte Studie, ProtagonistInnen einbindet: nicht nur in der Entwicklung und Durchführung der Gespräche sowie im Texten, auch an Kamera, Organisation und Tonassistenz ist das Viererteam beteiligt.
Der Film wird im Tempo bis auf kurze Ausnahmen dem seiner ProtagonistInnen gerecht, die von sich selbst wissen – und, nicht im geringsten mitleidheischend, dazu stehen –, dass sie „langsamer“ sind, „länger brauchen“ für vieles. Ruhige Bilder, moderate Einstellungen verweilen, geben Raum, begleiten, leiten die BetrachterIn an zum allmählichen Sich-Einlassen. Kein Platz ist für den voyeuristischen Zoom und keiner für verführerische Michael Moore’sche Auflaufenlasser und Bloßsteller: Die Lebensumwelt, PassantInnen im öffentlichen Raum sind verhalten hilfsbereit, verlegen freundlich, gelegentlich geradezu penetrant unauffällig: Ob diese gar so betonte Diskretion an der Anwesenheit eines Filmteams oder dem gängigen Wegschauen, weil nicht umgehen Können/Wollen liegt, überlässt Zanolin der BetrachterIn.
Eintönig gräuliche Farben von Straßen, Wohnanlagen, Klassenzimmern kontrastiert die Regisseurin mit dem Bunt der Ateliergemeinschaft „Kunst & Drüber“, künstlerischer und kunsthandwerklicher Praxis – und einer farbigen Vielfalt von Klang. Was an der Filmmusik – nach dem programmatischen Agit-Folksong „We’re people first“ als Intro, den von Christine Abdel-Halim und Gabi Plattner komponierten und interpretierten Vokalisen und dem klassischen Abschluss „Respect“ – verschroben, manchmal witzig, manchmal befremdlich, wirkt, löst sich im Abspann auf: Flotte Blasmusik, türkischer Pop, Hansi Hinterseer und Jon Bon Jovi sind Auswahl von Interviewten und ProtagonistInnen.
Kathrin Pfretschner, die mit der coolen Mimik und der in die Hüfte gestemmten Rechten, hat bei der Musik nichts mitausgesucht. Gern wüsste ich, welches Lied, was für eine Musikrichtung sie genommen hätte, wenn doch. Vieles würd’ ich ihr zutrauen, zwischen 4 Non Blondes’ „What’s up“ und „When I grow up“ von Michelle Shocked. Zwei Monate nach der Premiere von „Weil eine Trommel geigt nicht“ ist Kathrin Pfretschner gestorben. „Durchschnitt“ war sie nie, und das merkt dank Monika K. Zanolins Film nicht niemand – das merken sich auch jene, die sie nicht gekannt haben.
Petra Nachbaur